Die Verhandlungen mit der Documenta GmbH bezüglich des Löwen im Bonsaiwald dauern an. Unterdessen hat sich mein Nachbar bereit erklärt, für meine Reisegruppe vom Wochenende den Löwen im Bonsaiwald naturgetreu nachzubauen, falls die Verhandlungen mit der Documenta GmbH scheitern sollten.
An dieser Stelle muß ich meinem Tagebuch etwas anvertrauen. Ich habe falsch Zeugnis abgelegt über die Künstlerin Sanja Ivecović. Das Projekt Mohnfeld gilt nicht, wie von mir behauptet, als gescheitert. Frau Ivecović hat entgegen meines früheren Tagebuch-Eintrags Kassel noch nicht verlassen. Es war zwar eine Schnapsidee, und mit dem Unkraut das konnte vorher auch keiner ahnen, aber daß es sich um 3 Sorten Mohnsamen gehandelt hat war eine Fehlinformation. Vielmehr handelt es sich nur um 2 Sorten Mohn, und der Schlafmohn steht nun kurz vor der Blüte. Allerdings wird er nicht blühen, wenn es weiter so ergiebig regnet und die Temperaturen auch nicht nachlassen. Dementsprechend wird das Mohnfeld nun vorerst nicht abgemäht und das Bierzelt (beheizt) kann leider nicht aufgestellt werden.
Die Documenta 12 hat ihren Endspurt eingelegt. Zeit, ein paar Kunstwerke verstehen zu wollen. Heute möchten wir gerne verstehen, warum ein Gast zusammengestaucht wurde, weil er mit einem Streuselkuchen zusammengestoßen ist. Nun, der Streuselkuchen ist Bestandteil der Installation „The Exploitation of the Dead“ (Die Ausbeutung der Toten) von Mladen Stilinović. Nach genauerer Betrachtung der Kuchenteller konnte ich feststellen, es gibt sogar ein Stück Donauwelle. Also symbolisiert der Kuchen den Leichenschmaus. Und da dagegen zu rennen ist ziemlich pietätlos.
Heute ist wieder ein Gast vor dem Löwen im Bonsaiwald in eine leichte Ohnmacht gesunken, kam aber bald wieder zu sich, als ich erwähnt habe, daß das Kunstwerk wahrscheinlich in der Stadt bleibt (die Verhandlungen mit der Documenta GmbH laufen noch).
also einen Tach vor meinem 100tenGeburtstag werde ich mich am Glühweinstand einloggen und auf die anderen Erntehelfer warten+dann alle abhängen!! Aber im Ernst wenn ichs mir im Moment leisten könnte wäre ich schon längst zur Documenta+bei dir erschienen!! Vielleicht klappts ja mal,ansonsten bist du im leider seeeeeeeehr öden WW jederzeit willkommen!!! Huch,grade donnerten hier 3 vollbesetzte Buse durch,die wollten nach Paderborn zur Weihnachtsmesse, ich hoffe wir sehn uns bald, i love the Blues dat Maro
Noch 10 Tage Documenta, also wird es auch für die Kasseler Zeit, langsam mal die Ausstellung zu besuchen. Heute stand die neue Galerie auf dem Programm, 3 Etagen in 45 Minuten, und dabei jedes Schild gelesen. Leider liegen keine Zahlen von den Bielefeldern vor, so daß nicht sicher ist, ob das ein Rekord war. Nächste Woche steht dann das Schloß Wilhelmshöhe auf dem Programm.
Mit dem Mohn wird es wohl vor Tag 100 nichts, so daß die Kasseler selbst ab Tag 101 ernten dürfen, bevor der Mähdrescher kommt. Denn der Weihnachtsmarkt muß ja zeitig eröffnen. Ein Glühweinstand steht schon.
Ohne dem Abschlußplädoyer der Documenta GmbH vorgreifen zu wollen möchte ich doch schon heute das leidige Projekt Mohnfeld als gescheitert erklären. Der Mohn eignet sich allerhöchstens als Tierfutter oder in einer Vase als Erinnerung an einen schönen Traum, der nie Wirklichkeit werden sollte.
Noch beschämender ist das Ergebnis des Versuchs, den Reisanbau in Kassel zu etablieren. Der Regen wäre ausreichend gewesen, aber die Temperaturen waren ungeeignet. Nun hat Herr Sakarin Krue-On angekündigt, das Projekt auf eigene Kosten nächstes Jahr noch einmal wiederholen zu wollen. Die Parkverwaltung am Schloß Wilhelmshöhe hat dankend abgelehnt.
Auch Herr Ai Weiwei weiß, daß 100 Tage Freude irgendwann einmal vorbei sind und kümmert sich bereits bei my-hammer.de um eine Entrümpelungsfirma für das Gerümpel in der Aue (Angebote bis 22.09.07).
Eine Studie der Kassel Service GmbH hat ergeben, daß bei den Besuchern die Installation von 12 Fernsehbildschirmen von Herrn Harun Farocki im Fridericianum am besten angekommen ist, konnte doch jeder von sich behaupten, ein Kunstwerk verstanden zu haben und Sitzgelegenheiten gab es ja auch dort. „1,5 Milliarden Zuschauer haben letzten Sommer exakt dieselben Bilder vom WM-Endspiel gesehen. Als Weltregie der Fernsehindustrie interpretiert Harun Farocki die Monopolisierung von Live-Bildern. Seine Videoinstallation Deep Play zeigt auf zwölf Monitoren das Ausgangsmaterial der Fernsehanstalten sowie digital bearbeitete Bilder, die die mathematische Analyse des Spiels simulieren. Es gibt keinen Kommentator, nur die ungefilterten Stimmen von Moderatoren, Polizei und TV-Regie, die die Perfektion der Fernsehsendung aufdecken.“
auf Grund des durchschlagenden Erfolges der Dokumenta habe ich beschlossen, Künstlerin zu werden. Ich habe fleissig recherchiert und habe nun vor, die Zimmer meiner Kinder zu fotographieren und diese auf Leinwandpapier grossflächig zu projezieren. Diese Bilder werde ich Chaos-Taos nennen. Chaos wegen ,,, und Taos ,, weils gut klingt.
Am Tag 100 wurde es nun endlich Zeit, das Schloß Wilhelmshöhe zu besichtigen. Nicht nur ich, sondern auch Tausende andere, vor allem Kasseler, hatten die gleiche Idee. So hat das Anstellen, um Einlaß zu bekommen, etwa doppelt solange gedauert, wie der Durchgang durch die Ausstellung selbst. Denn der Gang durchs Schloß ging recht schnell, da ich gleich zu Beginn in der ersten Südkurve eine Gruppe überholen konnte und dann einen Vorsprung hatte, den keiner der Nachfolgenden bis zum Ausgang mehr einholen konnte. Die alten Meister hängen da ja immer, und auch ansonsten ist das Schloß schnell durchquert, wenn man die richtigen Schuhe anhat. Treppe geht übrigens schneller als Aufzug. Es bietet sich noch ein Blick auf die verkrüppelten Reisfelder von Herrn Sakarin Krue-On, aber ich war ja vorgewarnt.
Mir ist aufgefallen, daß an vielen griechischen und römischen Statuen, die im Schloß rumstehen, das wichtigste Körperteil fehlt, und zwar wurde es entweder abgeschlagen oder ist abgefallen. Es sieht aber eher nach roher Gewalt aus. Seitdem denke ich darüber nach, ob es früher auch schon militante Lesben oder Männerhasserinnen gab, oder ob die Genitalien von neidischen Geschlechtsgenossen mutwillig abgeschlagen wurden. Vielleicht hat sich die auch jemand als Vibrator mit nach Hause genommen, man weiß es nicht.
Pünktlich um 21 Uhr sollen heute laut Protokoll die Bürgersteige für die nächsten 5 Jahre wieder hochgeklappt werden, bis es dann 2012 wieder heißt: Willkommen auf der Documenta 13: 100 Tage Freude.
Ich bin jedoch zuversichtlich, daß es morgen noch mal einen Eklat mit und um Herrn Ai Weiwei geben wird. Es ist ja nicht nur das Gerümpel in der Aue, es sind ja auch die 1001 Stühle, die jemand einsammeln und zählen muß, außerdem werden etwa 20 der 1001 Chinesen vermißt, die aus ungeklärten Gründen ihren Rückflug nicht angetreten haben.
Es gab heute noch einen Zusatztag, an dem die 100 Tage Freude bilanziert wurden. Bekanntester und beliebtester Künstler beim Publikum war nicht, wie vermutet, Herr Ai Weiwei (nur Platz 2), sondern Frau Trisha Brown, die mit ihren Tänzerinnen und dem Geturne durch Kordeln und Kleider für Belustigung gesorgt hatte.
Aber in nachhaltiger Erinnerung wird in Kassel nur der Künstler mit dem teuersten Kunstprojekt aller Zeiten, Herr Ai Weiwei, bleiben, mit 1001 mal Pleiten, Pech und Pannen. Selbst der Abtransport in der Aue konnte heute nicht anlaufen, da Herr Ai Weiwei bei my-hammer.de einem Scherzangebot aufgesessen war. Nun hat man sich seitens der Documenta GmbH dazu entschlossen, Herrn Ai Weiwei eine Frist bis Mittwoch zu setzen, ansonsten wird ein Oktoberfeuer daraus gemacht.
Für das Projekt Mohnfeld gibt es auch noch ein Happy End, denn es soll dort nun ein Weidenwald entstehen: „...Herr Hans-Joachim Flügel (Biologe) konnte eine erste vorläufige Bestimmung machen: Über 70 verschiedene Pflanzenarten tummeln sich auf dem Areal zwischen Steinweg und Königsstraße. (...) Auch Sanja Iveković zeigt sich interessiert an Flügels wissenschaftlicher Begleitarbeit als Ergänzung zu ihrer künstlerischen Arbeit. Spannend sei vor allem, dass sich unter den Pflanzen durchaus seltene Exemplare finden, wie Flügel berichtet. Die bereits erwähnte kleine Wolfsmilch beispielsweise ist in der modernen Landwirtschaft den Herbiziden längst zum Opfer gefallen und wächst in der freien Natur eigentlich gar nicht mehr, sondern höchstens noch in Museumsdörfern, wo traditionelle Ackerbewirtschaftung gezeigt wird. Und ein anderes Gewächs ist dem Biologen noch nie zuvor begegnet. Das sei ein sogenannter „Neubürger“, wie Flügel vermutet – eine neu eingewanderte Pflanze, sozusagen. Ginge es nach Flügel, sollte man das Mohnfeld einfach sich selbst überlassen - auch wenn die Kasseler Bevölkerung zumindest am Mohn nicht mehr lange Freude hätte. Im nächsten Jahr würden noch maximal zehn Prozent der jetzt vorhandenen Mohnpflanzen keimen und im Jahr darauf wäre dann überhaupt kein Mohn mehr zu sehen. Im Verdrängungskampf auf dem Kalkacker würden sich andere durchsetzen. Dadurch, dass es im Mai und Juni relativ feucht war, haben sich beispielsweise sehr viele Weiden und auch ein paar Pappeln angesiedelt. Wenn man die Fläche über einen längeren Zeitraum unberührt ließe, würde sich relativ rasch ein Wald bilden, erklärt Flügel. Hier auf der Fläche entstünde somit in den nächsten fünf Jahren ein dichter Weidenwald. Die documenta 13 mit einem Weidenwald vor dem Fridericianum (....)“
Für die echten Ai Weiwei-Fans, zu denen auch ich mich zähle, und zur Ehrenrettung des Herrn Ai Weiwei, und nicht zuletzt zum nachträglichen Verständnis seines Kunstauftrages muß ich heute noch einige Informationen nachschieben.
Erst jetzt sind alle Hintergründe zu Herrn Ai Weiwei und seiner Idee der 1001 Mal Pleiten, Pech und Pannen bekannt geworden. Es bleibt festzuhalten: Er hatte eine schwere Kindheit.
In Antwort auf:Herr Ai Weiwei wurde 1957 in Peking geboren. Sein Vater, Ai Qing, ist ein sehr bekannter Dichter in China. Nach seiner Geburt wurde Ai Weiwei von seiner Familie in die Wüste Gobi in China geschickt, wo er 18 Jahre gelebt hat. Ab 1981 hat er in New York/ USA studiert und gearbeitet. (...) In diesem Sommer wurde Ai Weiwei von der documenta eingeladen, seine Kunstwerke auszustellen. Seine Kunstwerke für die documenta 12 waren „Fairytale“, „1001 Stühle aus der Qin-Dynastie“ und „Template“, also insgesamt 3 Kunstwerke. Das Kunstwerk „Fairytale“ war ein Aktionskunstwerk. (...) „Fairytale“ bedeutet Märchen. 1001 Chinesen wurden von Ai Weiwei nach Kassel eingeladen, um die internationale Kunstausstellung documenta und die Stadt Kassel anzuschauen. (...) Das Projekt nannte Ai Weiwei und sein Team „Fairytale“, weil die Stadt Kassel der Wohn- und Arbeitsort der bekannten „Brüder Grimm“ war (1978-1830). Außer „Fairytale“ hat Ai Weiwei noch ein weiteres Kunstwerk zur documenta mitgebracht, „1001 Stühle“, d. h. zu jedem eingeladenen Chinesen oder jeder eingeladenen Chinesin wurde ein Stuhl mitgebracht und die Stühle wurden über die 5 Ausstellungsorte verteilt. Pate stand auch das Märchen von “1001 Nacht“, als Ai Weiwei dem Projekt den Namen „Fairytale“ gab. (...)
"Es ist wie ein Märchen, eine solch unmögliche Sache möglich zu machen", sagte Ai Weiwei. Für das Projekt, die 1001 Chinesen nach Kassel zu bringen, wurden 3,1 Millionen Euro benötigt; das ist daher das teuerste documenta-Projekt bzw. Kunstprojekt aller Zeiten. (...) Die 1001 chinesischen Besucher sind in fünf Gruppen mit jeweils rund 200 Personen im Zeitraum von 12.06.2007 bis 09.07.2007 nach Kassel gekommen. Die meisten Chinesen haben sich in Ai Weiweis Internet-Blog über das Projekt informiert, oder wurden von Verwandten oder Bekannten informiert; die Chinesen kamen daher aus unterschiedlichen sozialen Schichten und Herkunftsstädten. Die Chinesen waren in leer stehenden Fabrikbauten auf einem Gelände in der Gottschalkstraße untergebracht. Insgesamt wurden 200 Betten für die einzelnen Gruppen montiert. Ai Weiwei hat von China alle Betten sowie Geschirr mitgebracht. Ai Weiwei sagte „die Chinesen mögen harte Betten“. Die Betten wurden auch von Ai Weiwei selbst entworfen. Ai Weiwei hat aus China auch chinesische Köche nach Deutschland mitgebracht. Die Köche haben für die Chinesen 3 Mal am Tag chinesisch gekocht, weil die Chinesen sich nicht innerhalb einiger Tage an deutsches Essen gewöhnen können. (...)
(...) die Frage war, wie sich die chinesische Gruppe über das Projekt „Fairytale“ vorher informiert hat. 73 der 154 befragten Chinesen haben Informationen durch persönliche Gespräche mit Bekannten oder Verwandten bekommen, weswegen viele der Chinesen des Ai Weiwei-Projektes auch einfach ihre Eltern, Onkels und Tanten nach Kassel mitgebracht haben. Ende Juni ist die Familie Wu sogar mit 19 Personen nach Kassel gekommen. Aber wenn man keine Bekannten oder Verwandten hat, die das Projekt oder die documenta kennen, dann bekam man auch entsprechende Informationen nicht.
vielen Dank für diese märchenhafte Ergänzung deines Tagebuchs. Für mich als Hessin, der "ab nach Kassel" verwehrt blieb, stelle zwischenzeitlich Überlegungen an nach Paderborn umzuziehen, war dein Tagebuch das Sahnehäubchen zu den Medienberichten.
Dir gelang es immer wieder dem Ereignis eine persönliche Note zu verleihen und mir damit einen Blick hinter die Kulissen zu gewähren.
Mein Glas Glühwein erhebe ich, um auf dein Wohl zu trinken!