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 nicht viel
Käsekuchen Offline



Beiträge: 27

01.04.2011 23:21
Karnevalsnachbetrachtungen Antworten

In der Herrenrunde darf ein Mann noch ein Mann sein

Hurra, es gibt Bier zum Frühstück und es wird im Stehen gepinkelt: Es ist Herrenrunde in Goch am Niederrhein.

Wir steigen in Aldekerk ein, in Geldern, in Kevelaer, und man kann uns auch gleich erkennen, wenn auch nicht an der Verkleidung, denn verkleidet ist hier niemand: Wir sind Männer. In Gruppen.

Und das Schönste ist: Wir haben Bier dabei, an diesem Sonntagmorgen gegen 9.30 Uhr im Niers-Express. Einer hat gar einen ganzen Karton voller Dosen mitgebracht. Die Stimmung ist aufgekratzt, ein paar sind nicht aus dem Bett gekommen, doch die werden noch angerufen, im Zweifel sagt man mal der Frau Bescheid, die soll ihren Kerl rausschmeißen.

Es ist Herrensitzung in Goch. Wer wollte da fehlen? Die Veranstaltung ist schon seit Wochen ausverkauft, erschwerend kommt hinzu, dass es seit dem Loveparade-Drama in Duisburg neue Auflagen für Großveranstaltungen gibt, weshalb der ausrichtende Verein „Karnevals-Club-Concordia“ (KCC) Stehtische aufstellen muss. Das ficht uns nicht an, wir rülpsen. Wir sind Männer, wir sind unter uns. „Schon Stuhlgang gehabt?“, fragt einer. Da lacht der ganze Zug und die Bierdose zischt.

Am Gocher Bahnhof sind wir schon viele. Wir gehen zur nahen Tankstelle, kaufen noch ein bisschen ein, Zigaretten, Bier, was man so braucht für einen zehnminütigen Fußmarsch. Die Stadt scheint noch müde zu sein, ein paar Rentner sind unterwegs, wir foppen uns, ziehen uns auf, lachen lauter als gewöhnlich. Und mehr. Denn wir haben ja nicht nur den Morgen für uns, sondern den ganzen Tag, den Abend. Dann werden wir müde sein.

Egal ob Pirat, Hippie oder Vampir – bei Erwachsenen lasse die Wahl des Kostüms auf die Persönlichkeit schließen, sagt der Psychotherapeut Rolf Ahn aus Düsseldorf. „Psychologisch gesehen ist das Verkleiden ein unbewusstes Ausleben von geheimen Wünschen oder dunklen Seiten.“

Die Indianer

So wolle etwa ein Beamter, der sich als Indianer verkleide, Abenteuerlust und Risikobereitschaft ausdrücken. „Diese Seite kann er im Alltag vielleicht nicht ausleben“, sagt Ahn. Viele Kostüme erinnerten jedoch auch einfach an die eigene Kindheit.

Pirat und Cowboy

Pirat und Cowboy ließen die Träume von damals wieder aufleben, und Karneval sei für das Ausleben dieser Träume und Wünsche eine wunderbare Gelegenheit. Das heißt im Umkehrschluss: unter Cowboyhüten steckt wohl eher ein Langweiler.

Männer in Frauenkleidern

Männer, die zum Karneval gern in Frauenkleider schlüpfen, sind im Alltag souverän und erfolgreich – das will zumindest ein Psychologe herausgefunden haben. Menschen mit ähnlichen Charakterzügen wählten zum Karneval überraschend häufig die gleichen Kostüme aus, sagt Rolf Schmiel (37) aus Essen. „Ein Kostüm verkleidet nicht, sondern entblößt Sehnsüchte“, sagt der Experte. Deshalb steckten hinter weibisch verkleideten Männern häufig Karrieristen.

Die hässliche Hexe

Unter einem Spitzhut und Buckel schlummert oft eine Schönheit, dagegen verberge sich hinter sexy-verruchten „Kätzchen-Masken“ meist eine graue Maus.
Der Verweigerer in Zivil

Wer auf Karnevalsveranstaltungen in Zivil gehe, gilt als Spaßbremse – nicht nur am Narrenabend, sondern im ganzen Leben. In der Gruppe oder Partnerschaft stellten sich die Narren ohne Dress oft quer.

Der tragische Clown

Tragische Figur und ewiger Außenseiter ist der Clown. Dieser zweite Kostüm-Klassiker gilt von Haus aus geschlechtslos. Der clownesk Kostümierte fühlt sich oft auch im normalen Leben weder als Mann noch als Frau akzeptiert. Außerdem legt der vermeintliche Spaßvogel in Wirklichkeit eine „depressive Grundstimmung“ an den Tag. Also: die Maske ist als das wahre Gesicht.

Wir brauchen kein schlechtes Gewissen zu haben und uns nicht einmal darum zu bemühen, die Form zu waren, Frauen sind ja keine auf der Herrensitzung. Heute haben wir Spaß, wir lassen es laufen und pinkeln im Stehen. Wir sind Männer!

Gladbach ist wohl durch Richtung zweite Liga, dafür hat Dortmund gestern die Bayern platt gemacht. Wir stehen vor dem Gocher Kastell und begrüßen einander. Geben uns die Hände, umarmen uns auch mit diesem kräftigen Schlag auf die Schulter. Viele von uns werden von der Frau gebracht. Manche steigen aus und grinsen, wenn sie sich uns zuwenden, so dass es die Frau nicht sieht. Die sind natürlich noch nüchtern. Doch nicht mehr lange.

Die Stehtische sind okay. Gut sogar, weil man dann besser im Saal hin und her laufen kann. Wir bestellen das Bier in Fässern, die Fässer stehen auf den Tischen, jeder bedient sich selbst. Zwei, drei schnelle Bier, da kommen die Nachzügler. Im Kastell, ein Veranstaltungsort der Stadt, haben sie die Jalousien heruntergelassen. Einmarsch mit Musik, der Elferrat. „Morgen Männers“, sagt einer der beiden Sitzungspräsidenten vom KCC, die als einzige im Saal verkleidet sind: als Priester. Im Vorjahr war er der Karnevalsprinz in Goch.

Sexy Rhythmen in Rio zum Karneval

Der Elferrat trägt Gardeuniform, die Bühne ist grell mit Scheinwerfern ausgeleuchtet, „begrüßt unser Nummerngirl“, und da kommt sie schon. Begleitet von „Ausziehen-, Ausziehen, Ausziehen“-Rufen stakst sie auf hohen Stiefeln über die Bühne, knappes Höschen, noch knapperes Top. „Geiler Arsch“, sagen viele, alle anderen stimmen zu, brummeln in ihr Bierglas und spenden Beifall. Wo die Mädchen herkommen? Nicht von hier. Früher fuhr einer immer nach Holland rüber in das nächstgelegene Bordell. Heute sollen sie aus Düsseldorf kommen. Professionelle. Wir sind Männer! Wir nicken. Anerkennend? Wissend? Nur so?

Intime Geständnissse – das Penis-Gedicht

Charlie ist ein Düsseldorfer Büttenredner. Er kommt jedes Jahr. Charlie trägt ein Clownskostüm und hat ein ungeschminktes, rotes Gesicht. „Seit das Nummerngirl hier war, steht der Mikroständer von ganz alleine“, sagt er.

Wie heißt eine Polizistin, die ihre Tage hat?

Red Bull!

Was sagen Schwule in Hamburg?

Ich mach an Kai fest!

Treff ich einen Neger mit einem Papagei auf der Schulter. Frag ich, spricht der auch?

Keine Ahnung, ich hab ihn doch erst drei Monate, antwortet der Papagei.

„Wollt ihr Charlie noch mal sehen?“, fragt der Sitzungspräsident. Und als wir alle ja schreien, trägt Charlie ein Gedicht über seinen Penis vor. Tusch, Ordensverleihung, Ausmarsch. Wir lachen, weniger weil wir das lustig finden oder gar gut, klar ist das sexistisch und rassistisch, aber dieser Tag soll uns einen. Das zweite Fass kommt. Wir haben alle, alle, alle einen Penis. Wir sind Männer.

Es geht nicht nur um Witze, sondern um die Frauen

Natürlich besteht eine Herrensitzung nicht nur aus Witzen, hauptsächlich stehen wir rum, trinken und schauen uns die Mädchen an, die Tanzgarden. Sie tragen rot-weiße Kostüme oder schwarz-gelbe oder grün-weiße. Eine trägt blau und stellt eine Schiffsmannschaft dar. Zwischendurch kommen immer die Nummerngirls. Wir treffen uns wieder und tauschen uns aus. Der Eine ist nicht mehr mit der Frau zusammen, der andere hat eine neue Freundin und ist trotzdem einsam.

Bei dem Einen läuft es im Job nicht mehr, der andere macht sich wegen seiner Gesundheit Sorgen. Das alles sagen wir nicht laut, wir sagen „ach ja, es muss“, wenn man uns fragt, wie es so geht. Nur nach zwanzig Bier an der Theke reden wir ein bisschen mit jemandem, der auch gerade so steht und der mit Sicherheit betrunken genug ist, das morgen wieder vergessen zu haben. Wir rauchen eigentlich nicht mehr und tun es nun doch, weil alle anderen es auch machen. Wir schunkeln. Erzählen von unseren Autos. Wir klopfen einander auf die Schulter, weil wir Kumpel geworden sind hier vor dem Fass Bier. Wir Männer.

Der Prinz erscheint, ein stattlicher Prinz mit Prinzessin, Sonderschullehrer von Beruf, mit dem großen Glück, dass seine Elternzeit genau in der Session liegt. Sein Vorgänger, der Sitzungspräsident, will ihn ein bisschen aufziehen, der Prinz stürzt eine Flasche Heineken herunter, „is ja kein Kinderkarneval hier“, sagt er. Eben, wir sind Männer! Und applaudieren. Den angebrochenen Kasten darf er mitnehmen. „Ich dachte, den trinken wir jetzt!“ Wir applaudieren, ein Tusch.

Die Garde tanzt, die Prinzessin spricht, was ein wenig untergeht. Der Prinz verleiht Prinzenorden, die Prinzessin Prinzessinnenorden. Großer Applaus, Gedränge an der Herrentoilette, bei den Damen ist niemand, Abmarsch. Fahnen, Fanfaren, das große Karnevalsbesteck. Wieder eine Tanzgruppe, die Nummerngirls drehen auf, eine Polonaise im Saal. Würste gehen über die Theke, Schnitzel, viel Fleisch mit Senf. Die ersten Männer schwächeln, Gelalle auf dem Flur, insgesamt jedoch höchst sittsam, selbst als die Nummerngirls strippen. Zwei von uns werden auf die Bühne geholt, werden ausgezogen bis aufs Unterhemd, sie machen natürlich mit.

Der größte Auftritt: Der Prinz geht alleine durch den voll besetzten Saal, die Menge teilt sich, von weitem sieht man zunächst nur die Pfauenfedern auf der gelben Kappe, er tritt an die Bühne, schiebt den leeren Kasten auf die Bühne vor den Elferrat und geht gut gelaunt unter tosendem Beifall des Publikums zurück. Ein Kasten Bier, ein Mann. Wie wir. Die reguläre Spielzeit endet.

Die Zahl Elf und der Karneval

Die Elf und der 11.11.

Die "11" gilt als Narrenzahl schlechthin:

Am 11.11. um 11.11 Uhr beginnt die Fastnachtssaison, der Elferrat ist die höchste Instanz der Narren.

Viele Karnevalsgesellschaften haben diese Zahl in ihrem Wappen.

Doch warum die 11?

Dafür gibt es eine Unmenge Theorien.

Ein Ansatz besagt, die altdeutsche Schreibweise "eylf" habe die 11 zur Narrenzahl gemacht, denn sie soll den Jecken zurufen: „Ei, lustig, fröhlich".

Dieser Spruch zierte schon 1381 das Siegel der Gründungsurkunde der Karnevalsgesellschaft zu Kleve.

Andere sagen, der Schnapszahlcharakter mache den Charme der 11 aus.

Nach einer weiteren Theorie hat die Zahl 11 ihren Ursprung in der christlichen Kirche.

Die 11 ist das Sinnbild der Sünde, denn sie überschreitet die Zahl der zehn Gebote.

Und nicht umsonst sagt ja der Karnevalsschlager: "Wir sind alle kleine Sünderlein."

Nachspielzeit: Es ist dunkel geworden, manche von uns werden abgeholt, da warten die Frauen noch die letzte Zigarette ab, die letzte Umarmung, den Händedruck. Viele gehen noch in die Kneipe. In Gruppen ziehen sie durch die Stadt, immer noch lachend, noch lärmend, auf der Suche nach einer Kneipe, Taxis warten. In der Kneipe gibt es noch ein paar Bier, es mischen sich wieder die Geschlechter, wir sitzen so aufrecht wie es eben geht und lächeln der Bedienung zu.

Keine Nummerngirls mehr, stattdessen die Mädchen von der Tanzgarde, von manchen die Freundin, die Tochter, wir reißen uns wieder ein bisschen zusammen, gehen irgendwann selig nach Hause, fallen auf dem Sofa noch in einen Schlaf, der einer Bewusstlosigkeit nahe kommt, schnarchen so laut wie es eben geht.

Am nächsten Morgen riechen die Klamotten nach Bier und Rauch und Schweiß. Der Kater ist mörderisch, stellen wir fest, als wir genüsslich auf zwei Aspirin beißen.

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