Was tun? Nichts Gescheites gelernt, zwei unpolitisch linke Hände - die Dimension meiner Profilneurose wird nur durch meine Faulheit übertroffen - und dann auch noch pleite. Nicht nur ein bisschen, sondern so richtig. Haben Sie schon einmal einen Geldautomaten weinen hören? Ich schon. Es muss etwas passieren. Aber was? Mag ja sein, dass Arbeit nicht schändet - aber als Möglichkeit, meinen zugegeben katastrophalen pekuniären Status zu sanieren, kommt so etwas für einen Freigeist wie mich natürlich nicht in Betracht. Auf gar keinen Fall. Nein. Ich werde Künstler!
Die Voraussetzungen sind zweifelsohne hervorragend. Außer den eingangs erwähnten Qualifikationen verfüge ich noch über ein schräges Image, einen bodenlos schlechten Ruf, ein feines Gespür für den Fauxpas und über jenen Hauch von Größenwahn, der mich zum Szenegott prädestiniert. Der Mangel an erworbenen Fähigkeiten, gepaart mit dem für die meisten zeitgenössischen Künstler unabkömmlichen Nichtvorhandensein von so etwas wie Talent, scheinen bestens geeignet, mich direkt an die Spitze des Heeres der professionellen Musen-User zu katapultieren. Frisch ans Werk! Erstmal muss natürlich eine ausgefallene Technik her. Nicht etwa, dass diese das künstlerische Resultat zu beeinflussen vermöchte - wen interessiert schon das, 'was hinten rauskommt'? - Aber wonach soll der Kritiker denn fragen, wenn nicht nach dem Erschaffungsprozess, wo die Frage "Was soll das denn sein?" einen kulturgesellschaftlichen Selbstmord bedeutet...?
Auch das zu verunstaltende Material bedarf einer sorgfältigen Auswahl. Papier und Bleistift? Lai-E¡! Anfänger! Dilettant! Unter einer selbstgewilderten Himalaja-Zwergschnepfenhaut als Leinwand und einem Pinsel aus Bayreuther Touristensackhaar geht gar nichts. Außerdem ist die Technik des Zeichnens oder Malens uralt und damit natürlich indiskutabel. Nein, bevor man beginnt, die Kunst zu vollbringen, heißt es, kreativ zu sein. Seit die renommierte Performance-Künstlerin Gundulá M. Knopf-Zirchengiebler an Heiligabend ein Transformatorenhäuschen mittels einer Tontaubenwurfmaschine mit in gefärbte Plazentastücke gewickelten Kuhfladen von jungfräulichen Watussi-Rindern beschossen hat, ist es schwer geworden, etwas wirklich Spektakuläres auf die Beine zu stellen.
Auch die Idee der konsequenten Reduktion wurde bereits zu Ende gedacht und völlig leere Galerien machten damit den besten Umsatz seit ihrer Eröffnung. Auf den Vernissagen reichte man leere Sektgläser, was bei den geladenen Gästen Stürme der Begeisterung hervorrief und dem Künstler den uneingeschränkten Ruf eines Genies einbrachte. Die entsprechend wortlosen Kritiken einschlägiger Fachblätter waren voll des Lobes. Man sieht, es ist alles andere als einfach, etwas noch nie Dagewesenes zu bringen. Vielleicht sollte ich versuchen, nach dem Verzehr eines Hundertmarkscheins von der Aussichtsplattform des Berliner Funkturmes in eine Biedermeiervase, die am Fuß des Turmes von zwei Offizieren der Schweitzer Garde in Baströckchen gehalten wird, zu pinkeln? Gewiss, einige Details müssten noch ein wenig verfeinert werden, aber für ein Debüt klingt das doch gar nicht schlecht - oder? Und wagen Sie es bloß nicht, meine Kunst nicht anzuerkennen! Wenn Sie mich nur halb so ernst und wichtig nehmen, wie ich mich selbst, werden Sie mühelos meine, in aller Bescheidenheit gesagt, unsterbliche Genialität erkennen.