Vieles unterscheidet den Menschen von niedrigeren Arten, zum Beispiel die Fähigkeit, Werkzeuge zu ersinnen, mit deren Hilfe man Mitmenschen auf spektakuläre Art und Weise zu Schaden bringen kann, um sich dann am Unglück des zu Schaden gekommenen zu ergötzen. Tiere sind mit viel weniger Intellekt ausgestattet. Weder bauen sie Atombomben noch Gartenhäcksler, und noch viel weniger kommen sie herbei gelaufen, wenn einem Artgenossen Unangenehmes oder gar Schmerzhaftes widerfahren ist. Noch nie habe ich um einen platt gefahrenen Igel herum neugierig guckende Igel sich zusammenrotten sehen, niemals haben sich an meinem Zahnputzglas Horden von Fliegen eingefunden, um Zeuge zu werden, wie ein artverwandtes Insekt in Odol ertrinkt, und niemand hat je Schweine dabei beobachtet, wie sie Busfahrten zu Westfleisch organisieren, um sich mal ordentlich zu grausen. Der Mensch ist da von ganz anderem Kaliber. Fallen einem mitten auf der Straße die Apfelsinen aus der Einkaufstüte, gucken alle schnell woanders hin. Wird man aber beim Aufsammeln vom Linienbus überfahren, steht man schneller als erwartet im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses, eine Menschenmenge sammelt sich um einen und kommentiert hingerissen Fließgeschwindigkeit und räumliche Ausdehnung des von einem fort rinnenden Lebenssaftes, und wenn man ganz viel Pech hat, dann kommt auch noch RTL und filmt einen für "Notruf", während Hans Meiser in seiner drögen Windjacke den Rettungssanitätern im Weg rumsteht und die Zielgruppe von RTL gemahnt, nicht auf der Straße davon gerollten Apfelsinen hinterher zu haschen, denn man sieht ja live und in Farbe, was dabei dann herum kommt.
Die Zielgruppe vom ZDF hingegen muss sich mit Guido Knopp begnügen und die der ARD mit Fernsehfilmen, die vorab schon auf arte liefen. Deswegen sieht man weniger Matsch und Splatter, häufig aber Magda Goebbels in nachgestellten Szenen, wie sie ihre Sprösslinge vergiftet. Damals gab es noch kein RTL, deshalb gibt es davon keine Lifeaufnahmen, was aus heutiger Sicht sicher sehr bedauerlich ist, denn speziell das spannende Psychodrama um die seelischen Befindlichkeiten der letzten Herrenmenschen und ihrer Damen erfreut sich heute großer Medienpräsenz und hätte dem Inhaber der Exklusivrechte sicherlich Werbeeinnahmen in Millionenhöhe beschert.
Als noch fataler für die Werbewirtschaft ist die Tatsache anzusehen, dass man mit der Entdeckung der satellitengestützten Kommunikationstechnik herumgetrödelt hat, bis Jesus Christus fast zweitausend Jahre lang tot war. Schon im Religionsunterricht, während meiner glücklicherweise lange hinter mir liegenden Schulzeit, wusste Schwester Irmhild zu berichten, dass die Darstellungen des gekreuzigten Erlösers zugegebenermaßen an Authenzität zu wünschen übrig ließen. Hätte man dem Bräutigam der geistlichen Damen tatsächlich, so wie auf allerhand im Schulgebäude herum hängenden Kruzifixen, einfach so die Nägel durch die Hände gekloppt, wäre er glatt herunter gefallen. Zwar mit arg lädierten Händen, aber doch ganz und gar untot und ohne jeglichen Bedarf an wunderlicher Auferstehung. Der Katholizismus wäre nie erfunden worden, es gäbe keine Weihnachtsgeschenke und keine Ostereier, man könnte seine alten Schrankwände nicht bei der Caritas loswerden, und wir wären auch vor allem nicht Papst.
Damit solche Schreckensbilder niemals Realität werden und unser karges und trostloses Dasein nicht noch kärglicher und barer allen Trostes wird, wird der arme Jesus nun permanent auf sämtlichen Kanälen gekreuzigt, allerdings (ähnlich Magda Goebbels) in Ermangelung von Live-Material in nachgestellten Szenen mit Fontänen von Ketchup. Während man nämlich von den Goebbels-Kindern zumindest noch ein paar Bilder hat, die sie vergiftet im Garten der Reichskanzlei liegend zeigen, rätselt man heute noch darüber, wie und warum genau eigentlich Jesus gestorben ist. Bis auf ein antikes Gekrakel auf einer antiken Mauer gibt es überhaupt keine Bilder von Kreuzigungen. Nicht mal ein schönes originales Kreuzigungskreuz ist der blut- und wissensdurstigen Nachwelt erhalten geblieben, und da fängt die Rätselei schon an. Ganze Heerscharen von History-TV-Doku-Hanseln raufen sich die Köppe blutig. Hat man einfach zwei Latten aufeinander genagelt, so wie unsereins heutzutage das Grabmal für den seligen Fiffi im Garten zurecht dengelt? Oder hat die antike Zimmermannszunft sich einer längst vergessenen Technik von ineinander verzapften Balken bedient? Welche Art von Holz wurde den harten Anforderungen der damaligen Hinrichtungsindustrie am besten gerecht? Gab die geographische Situation überhaupt genug Rohstoff her, oder bedurfte es einer ausgeklügelten Logistik, um die entsprechenden Materialien aus fernen Ländern zu importieren? Waren die Kreuze am Ende gar keine Kreuze, und man hat die Delinquenten einfach an herumstehende Bäumchen genagelt?
Während die Frage nach der Beschaffenheit des Kreuzes nie zufriedenstellend beantwortet wurde, geht die Doku-Hansel-Szene ungeniert und tatenlustig zu der weitaus spannenderen Frage über, wie man denn nun Jesus an dem Ding befestigt hat, und präsentiert allerlei abenteuerliche und blutrünstige Theorien, die allesamt in plastischen Bildern nachgestellt werden. Hat man genagelt oder gebunden? Wenn man genagelt hat (der Großteil der Doku-Hansel bevorzugt die Nageltheorien, weil die Bindetheorien für den großen Fundus moderner Spezialeffekte keine allzu große Herausforderung darstellen), wie hat man dann genagelt, damit nicht passiert, was Schwester Irmhild schon zu bedenken gab? Durch die Handflächen oder doch durch die Handgelenkswurzel? Vorne durch die Füße oder seitlich durch die Gelenke? Und vor allem: Was war wie qualvoll, weil es welche anatomischen Folgen mit sich brachte? Ein besonders pedantischer Doku-Hansel grub sogar Bilder von richtig echten Leichen aus, die ein Wissenschaftler so um die Zeit, als Magda Goebbels dem Führer ihre Kinder gebar, an Kreuze genagelt hatte, um zu gucken, ob und wann sie herunterfielen. Ein fragwürdiges Experiment aus einer dunklen Zeit, sprach zu den Bildern der Doku-Hansel und zeigte sie freudig alle drei Minuten.
Nicht erhellen konnte das fragwürdige Experiment aus einer dunklen Zeit, warum letztendlich jemand starb, den man an ein Kreuz oder einen Baum genagelt oder gebunden hatte, denn die Versuchspersonen waren bereits eines anderen Todes gestorben. Ein Doku-Hansel band einen noch nicht Verstorbenen an ein Kreuz (ich glaube, es war ein Balkenkreuz aus importierter China-Mammuteibe oder so), heftete ihm Elektroden an den nackten Brustkorb und wartete ab, was passierte. Es passierte aber nur, dass das Weichei von noch nicht Verstorbenem nicht bis zum Ende durchhielt, sondern anfing zu schwitzen und zu greinen, weil sein Kreislauf vom langen Hängen kollabierte, und schließlich vom Doku-Hansel-Team abgenommen werden musste, weil er allen mit seiner Weinerlichkeit so auf die Wutz ging. Man mutmaßte, dass der Kreislaufkollaps in ein Herzversagen mündete, vielleicht aber auch das Rückgrat bräche, wenn der Hängende infolge einer Ohnmacht gänzlich sich hängen ließe. Ich persönlich finde ja diese Art der Doku-Hansel-Berichterstattung ausgesprochen unseriös. Während Guido Knopp immer noch irgendwo einen steinalten Zeitzeugen aufstöbert, der zu berichten weiß, warum die Goebbels-Kinder tot im Garten lagen, lassen die Jesus-Doku-Hansel ihr gebannt beim Abendbrot Kreuzigungstheorien guckendes Fernsehpublikum vollständig im Dunkeln tapern. Warum man wie dahinschied, wenn man an einen Baum oder Latten oder Balken gebunden oder von vorne oder seitlich durch die Gelenke genagelt wurde, das bleibt ein unbelüftetes Geheimnis. Aber so lange genagelt wird, dass das Blut nur so spritzt, guckt man trotzdem immer gerne, denn man ist ja keine hirnlose Fliege.