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turboliesel Offline



Beiträge: 1.072

30.12.2007 12:09
Was macht eigentlich... Antworten

...Herr Ai Weiwei?

Im Sommer hat er in Kassel für mehr als 100 Tage für Chaos und Unverständnis gesorgt.
Heute spricht er zu uns im Handelsblatt, und ich muß sagen, ich mag ihn immer lieber:

„China kann nicht mehr zurück“
Die Fragen stellte Andreas Hoffbauer

Der chinesische Künstler Ai Weiwei ist einer der schärfsten Kritiker der Olympischen Spiele in Peking. Im Handelsblatt-Interview spricht er über „das Vogelnest“ und seine Symbolik, über Propaganda und Meinungsfreiheit sowie über die Probleme Chinas mit Umwelt, Korruption, Bürgerrechten und Bildung.


Das zentrale Olympiastadion in Peking, das „Vogelnest“, wird bereits als Wunderwerk gefeiert. Sie haben an dem einzigartigen Design mitgearbeitet. Freut Sie die Resonanz?

Ja, das ist wunderbar. Da wir das Stadion für die Stadt und für die Menschen entworfen haben, wird es so gut angenommen. Dabei wurde es zunächst heftig kritisiert, aber der Ton hat sich völlig verändert. Es ist zum Symbol für den Fortschritt geworden. Das ist prima.

Werden Symbole in China nicht schnell politisiert?

Ja, und ich mag die Idee überhaupt nicht, dass das Nationalstadion zu Propagandazwecken missbraucht wird. Wir wissen alle, dass China noch immer sehr große Probleme hat. Viele kritische Fragen müssen gelöst werden. Wenn man nun die Olympischen Spiele benutzt, um eine Art friedliche Luxuswelt vorzugaukeln, dann entspricht das schlichtweg nicht der Wahrheit. Denn zur selben Zeit haben wir in China große Probleme, ja sogar Krisen.

Missbraucht Peking das „Vogelnest“, um das China-Bild zu schönen?

Nicht nur das. Die Olympischen Spiele sollten einen Staat eigentlich dazu bewegen, sich wirklich mehr um die wahren Bedingungen im Land zu kümmern. Er sollte mit seiner Propaganda aber nicht schöne Illusionen verbreiten. Darum kritisiere ich den Umgang mit dem Nationalstadion.

Wenn Sie das gewusst hätten, hätten Sie auch dann mitgearbeitet?

Das ist schwer zu sagen. Aber ich habe nie mit den Behörden gesprochen, bin nicht von der chinesischen Regierung engagiert worden.

Also überwiegt die Freude über das Design?

Das Stadion ist einfach wunderschön, alle lieben das Ergebnis. Ich bin sehr glücklich, mit dem Schweizer Architektenbüro Herzog & de Meuron daran gearbeitet zu haben. Das war eine sehr erfolgreiche Zusammenarbeit, eine echte Freude. Keine Frage, wir sind darauf stolz.

Werden Sie das Stadion betreten?

Nein, ich habe kein Interesse an dieser Art von Menschenansammlungen. Und ich habe kein Interesse an Sport. Ich war noch nie in meinem Leben in einem Stadion.

Es geht nicht nur um das Stadion. Sie werfen der chinesischen Regierung insgesamt vor, ein „gefälschtes China-Bild“ zu verkaufen. Warum?

China steht vor gewaltigen Problemen – beim politischen System, in Sachen Umwelt, Korruption, Bürgerrechte, Bildung. Fast jeder gesellschaftliche Bereich ist von Krisen und Problemen befallen. Das hat echten Einfluss auf das Leben der Chinesen. Ich will einfach die Menschen daran erinnern, dass sie das nicht übersehen.

Im Ausland gibt es dennoch große Hoffnungen, dass sich China mit den Sommerspielen weiter öffnet. Sehen Sie keinen positiven Olympia-Einfluss?

Natürlich sind die Olympischen Spiele sehr wichtig für unser Land, um noch offener zu werden und um westliche Werte besser kennenzulernen. Damit kann China auch ein besseres Niveau der Kommunikation erreichen, also mehr Transparenz. Aber was ist das wirkliche Ergebnis? Darüber müssen sich die Menschen Gedanken machen, und diese Frage müssen sie sich immer wieder stellen, nicht einfach nur jubeln.


Ist China in den vergangenen Jahrzehnten nicht offener geworden?

Vieles findet nur an der Oberfläche statt. Es ist nur Make-up. Klar, viele Straßen sind neu gebaut worden, aber viele Grundprobleme werden nicht angegangen.

Haben Sie als Künstler mehr Meinungsfreiheit?

Nicht wirklich. Zeitungen und Fernsehen sind in China noch immer Opfer einer strengen Zensur. Ich habe vielleicht etwas weniger Einschränkungen, mein chinesischer Internet-Blog ist bislang nicht zensiert, und ich kann solche Interviews geben. Das war früher unmöglich. Aber wir wollen eine bessere Gesellschaft. Und darum geht es nicht nur um mich und um meine Meinungsfreiheit. Maßstab müssen die Rechte und Freiheiten aller Bürger sein.

Wird die chinesische Regierung nach den Spielen, wenn sich die Welt von China abwendet, vielleicht sogar die Zügel anziehen?

Das glaube ich nicht. China ist an einem Punkt angekommen, von dem es kein Zurück mehr gibt. Ob Weltwirtschaft oder internationale Politik – ich bin überzeugt, dass sich China nicht mehr rückwärts entwickeln kann.

Also doch Optimismus mit Blick auf Chinas Zukunft?

Aber nicht wegen der Spiele. Ich glaube, die ganze Welt wandelt sich hin zum Besseren. Und es gibt mehr Chancen für Veränderung. China ist Teil dieser Welt. Und wenn Chinas Führung überleben will, muss sie den Anschluss finden. Das hat nichts mit den Olympischen Spielen zu tun, das ist einfach der globale Trend der Zeit.

Aber die Volksrepublik hat noch nicht einmal die Vergangenheit aufgearbeitet – Mao, die Kulturrevolution, das Tiananmen-Massaker.

Das ist ein großes Problem. China ignoriert noch immer, was geschehen ist. Und die Führung ist nicht bereit einzugestehen, dass sie einiges falsch gemacht hat. Wie kann man da bloß diese Selbstsicherheit an den Tag legen und so ein heuchlerisches Lächeln zeigen? Darum sage ich, dass die Jubelstimmung, die zu den Sommerspielen verbreitet wird, zweifelhaft ist.

Sagen Sie das auch, weil Ihr Vater, der berühmte chinesische Dichter Ai Qing, während der Kulturrevolution als Staatsfeind verfolgt wurde?

Wie schon gesagt, es geht nicht um mich. Aber natürlich hilft die eigene Geschichte oft, die Vergangenheit und die Gegenwart besser zu verstehen. Ich war fünf Jahre mit ihm in einem Arbeitslager, wo er die Toiletten putzen musste.

Im Westen gibt es Olympia-Boykottaufrufe. Was halten Sie davon?

Einige Leute fordern das, ich habe das nicht gesagt. Ich glaube, ein Boykott wäre töricht. Das ist eine Veranstaltung für die Massen, für die Welt, nicht für die Politiker. Aber natürlich müssen die Menschen dennoch kritische Fragen über bestimmte Dinge stellen.

Werden Sie an der Eröffnungszeremonie teilnehmen?

Niemand hat mich bislang eingeladen, und ich glaube, ich werde kaum noch ein Ticket bekommen. Aber ich bin auch nicht daran interessiert. Selbst wenn ich eine Einladung bekäme, würde ich nicht hingehen. Das hat nichts mit den Olympischen Spielen zu tun, ich habe einfach keine Lust auf solche Veranstaltungen.

Was wird die Welt für eine Show erleben?

Die chinesische Regierung ist so töricht, sie hat Choreografen und Regisseure ausgewählt, die ihre sogenannte Kunst für jede Propaganda hergeben. Es sind solche Opportunisten, sie werden Teil einer großen Manipulation. Das hasse ich.

Geht es dabei nur um die Frage der Kunst?


Nein, auch wenn mich vor allem der angebliche künstlerische Anspruch in Verbindung mit der Eröffnungszeremonie der Spiele nervt. Aber die ganze Organisation Pekings zeigt auch die wahren Fähigkeiten unserer Führung. Sie treffen einfach nicht den richtigen Ton. Und wenn sie etwas ernst meinen, machen sie es immer nur noch schlimmer. Ich bin sicher, dass wird bei der Eröffnungszeremonie nicht anders werden.

Aber Steven Spielberg wurde doch als Berater engagiert?

Ja, aber es geht nicht um künstlerische Freiheit. Und das mag ich nicht. Die Regisseure werden schön willig nach der Pekinger Pfeife tanzen und alles machen, was die Politiker wollen. Und alles, was vom staatlichen Kulturbüro kommt, ist einfach abscheulich. Schon diese fünf kleinen Maskottchen, man hätte kein schrecklicheres Design finden können.

Warum mögen Sie die denn nicht?

Daran ist alles falsch. Es ist ein billiges, zweidimensionales Design. Und es gaukelt auch noch diesen Quatsch von angeblichen traditionellen chinesischen Bildern vor. Die Maskottchen sind einfach Müll. Und dann haben wir auch noch fünf Stück davon. Das ganze Konzept hat nichts mit Design zu tun. Es geht nur darum, Geld zu machen.

Man möchte Sie schon gar nicht nach der olympischen Fackel fragen, die der chinesische Computerhersteller Lenovo entworfen hat.

Genauso bescheuert. Alles, was die Olympia-Organisatoren geschaffen haben, ist schlecht – auch das Logo.

Bekommen Sie keinen Ärger, wenn Sie Chinas Spiele so deutlich kritisieren?

Das ist sehr seltsam. Ich bin offenbar der Einzige, der ganz offen die Sommerspiele kritisiert. Aber wer sagt es denn sonst den Verantwortlichen? Niemand. Erst jemand wie ich muss es also aussprechen. Aber ich kritisiere nicht die Olympischen Spiele und deren Geist. Ich kritisiere eine Regierung, die schlechte Politik macht. Das habe ich aber schon immer gesagt, schon seitdem ich Jugendlicher war. Nur die Menschen horchen erst jetzt auf, weil ich Teil des Design-Teams vom „Vogelnest“ gewesen bin.

Haben Sie denn Druck von der chinesischen Staatssicherheit bekommen?

(Lange Pause) Ich fühle mich wohl damit. Und ob mit Druck oder ohne Druck – tief in mir bin ich sehr zufrieden.


(Danke an den Absorbierer für den freundlichen Hinweis!)

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