Überall wird wieder gebetet, der liebe Gott schick um den Hals gehangen oder auf den Bizeps tätowiert und überhaupt der eigene Glaubensgeifer öffentlich zur Schau gestellt. Doch was ist erlaubt, was geboten und was trendy? Wie werde ich ein echter Glaubensfan? Hier die besten Frömmel-Tipps.
1. Wichtigster Tipp: Gott sieht eh alles, also nerven Sie Ihre Mitmenschen. Hier ist dann vom Halleluja-trällernden Garten-Engel bis zum bombenfrohen Martyrium alles erlaubt, um Nachbarn und Unschuldige auf das eigene Bekenntnis aufmerksam zu machen.
2. Je obskurer, desto frömmer: Ob Selbstkasteiung, Yin und Yang oder krude Thesen zur geschlechtlichen Liebe – nichts kann bescheuert genug sein, um es nicht zum Leitprinzip der eigenen Religion zu machen. Glaube hat schließlich nichts mit Vernunft zu tun.
3. Wer nicht mit mir ist...: Haben Sie sich erst mal für einen Katalog aus unverständlichen Ritualen und seltsamen Glaubensgeboten entschieden, gehört zum echten Frömmlertum, noch die leiseste Kritik daran und den liebsten Spott darüber als fundamentalen Angriff auf ihre Menschenwürde misszuverstehen. Selbstverständlich fordern sie für ihr eigenes Glaubensfantum lautstark und überall Toleranz ein.
4. Gebet ist geil: Es gibt eigentlich keinen Ort, Anlass und Zeitpunkt, an dem ein Werk äußerer Frömmigkeit nicht ins Bild passt. Beispiel Fußball: Wer vor dem Anstoß noch ein hübsches Kreuzlein schlägt, alle 5 Minuten ein demonstratives Stoßgebet gen Himmel schickt und jedes noch so glückliche Abstaubertor seinem Glauben widmet, der verwandelt auch das schönste Spiel in eine umständliche Glaubenszeremonie. Profaner lässt sich nur an Weihnachten seiner Frömmigkeit frönen.
5. Wir sind Gott: Wer zu Frömmel-Community gehören und mitreden will, dem sollte kein Klatsch und Tratsch aus der Szene zu Schade sei. Ob die neueste Pilger-Selbstbefriedungs-Biografie, die aktuelle Liste der selbstgesprengten Paradiesbewohner, der letzte spirituos beleuchtete Hollywood-Schauspieler oder der diesseitige Verfallszustand der diversen Gottesstellvertreter und -inkarnationen – nichts ist belanglos genug, um es nicht wortreich und medienwirksam zu beweihräuchern.
6. Der Teufel steckt im Detail: Machen Sie sich um Gottes Willen keine Gedanken um Ihren eigenen Glauben! Sie sollen sich nicht selbst überzeugen. Wer zweifelt, bekommt Falten und das macht Ihre schicke Glaubensfassade nur kaputt. Tipp: Legen Sie sich einen Rosenkranz zu und leiern Sie die zugehörigen Mariengebete herunter. Spätestens nach einem Tag hat sich Ihr Geist vollständig vom Denken befreit.
Gott spezial: Woran wir glauben (ausgewählte Stimmen)
Auf der Suche Meine Kindheit und Jugend waren getränkt von Religion. Wenn meine Mutter mein Zimmer betrat, tat sie es selten ohne den Ausruf: »Mein Gott, wie sieht’s denn hier aus!« Wenn ich beim Zahnarzt eben erst den Mund aufgetan hatte, hörte ich meist ein »Jesus Christus!«, und nach dem Sportunterricht unter der Dusche war ein ehrfürchtiges »Heilige Scheiße…!« die Regel. Aber wie das so ist, als Jugendlicher geht man in die Opposition, hinterfragt kritisch, und kaum war die Konfirmation rum (DM 3000.--, 1 Radiowecker, Diver-ses), ging ich an Weihnachten nicht mehr in die Kirche und hörte Satansmusik (BAP) – aber auf Dauer war mir das zuwenig. Ich brauchte einfach einen Sinn in meinem Leben, der über das Materielle (Stereoturm à DM 3000.--) hinausging, wollte aber an kein »höheres Wesen« (Mutti!) glauben. Da hörte ich im Radio ein Lied, das mein Leben total veränderte: »Mein Gott Walter« von einem gewissen Mike Krüger – und seitdem bin ich auf der Suche nach diesem »Walter«, meistens auf hr1. Aber er hält sich verborgen; Religion ist bei diesem hessischen Sozenfunk halt eher »out«. Heute meditiere ich viel, meist im Büro, pilgere dreimal die Woche zum Getränkemarkt und bete, daß mich nie wer in meiner rosa Unterhose sieht, die mal in einem Sechserpack mit drin war und die ich auch nur trage, wenn alle anderen in der Wäsche sind.
Stefan Gärtner (1)
Catholicism wow! Jetzt, wo man sich nicht mehr dafür schämen muß, bekenne ich wieder voller Stolz: Ich bin Katholik, Katholik aus tiefster Seele, bin es immer gewesen! Und irgend etwas muß man dem Islam doch entgegensetzen. Die Mosebachschen Reformen der Liturgie gehen mir allerdings noch nicht weit genug. Zunächst will ich die Teilhabe an der ganzen communio, d.h. nicht nur den Leib, vulgo die Hostie, sondern auch das Blut des Heilands, id est der sog. Laienkelch, also einen guten Schluck vom sonst nur dem Pfarrer vorbehaltenen Meßwein, der ja, wie es in der Summa theologica des Hl. Thomas heißt, von den beiden sogar die wichtigere Sache (res) ist. Ich will die Johannestaufe, also das vollständige Untertauchen des Säuglings in fließendem Gewässer (und nicht dieses läppische Geplansche, das heute leider usus ist); ich will die Messe auf Aramäisch; und ich will jeden Sonntag auf dem Marktplatz eine Hexe brennen sehen. Wofür zahle ich denn soviel Kirchensteuer?
Leo Fischer (2)
Auf Pilgerreise Schwer, sich einzugestehen, daß man viel Zeit mit sinnlosem Gerede vertan hat! Daß es schon später ist als nur fünf vor zwölf, daß man letztlich ganz alleine ist. Ich jedenfalls tappte im Dunkeln, obwohl gerade noch so ein großer Rummel um mich gemacht worden war: Überall bunte Lichter, alles hatte sich um mich gedreht, Essen, Trinken im Übermaß – leibliche Genüsse pur! Doch dann die Erkenntnis: Ich mußte mich auf den langen Weg zu mir selbst machen. Zu Fuß und ohne Geld. Zum Glück wußte ich, wo ich wohne. Ein langer Pilgerweg: Mozartstraße, Kapuzinerstraße, Wittelsbacherstraße, über die Isar und immer weiter südlich bis Haidhausen. Unterwegs traf ich viele andere Pilger. Manche lagen in tiefer innerer Einkehr zu Füßen anderer, viele liefen offenkundig verwirrt umher, die meisten auf der Suche nach Hochgeistigem, Spiritu-ösem, das sie doch nicht bekamen. Zwei Pilger, die Häupter schamhaft verhüllt bis auf zwei Sehschlitze, zeigten mir ihre einfachen, groben Knotenstöcke und erbaten meine Unterstützung für ihren weiteren Weg. Schließlich erlangte ich ein einfaches Glück: Ich befreite mich von allem weltlichen Ballast, warf von mir, was ich nicht mehr brauchte, und war wahrhaft erleichtert. Ich kehrte mein Innerstes nach außen und übergab mich den Wellen des Flusses, an dessen Ufer ich nun doch übernachten wollte. Morgen war auch noch ein Tag.
Oliver Nagel (3)
Seine Erlebnisse auf dem Hacker-Pschorr-Pilsnerweg beschreibt Oliver Nagel in seinem aktuellen Bestseller »Ich bin schon ganz weg« (Oktober-Fest-Verlag)
Gott ist doch kein Zott! Früher glaubte ich an den Weihnachtsmann mit Hirsch und Mütze. Heute ist mein Gott apersonal, ein außerraumzeitliches Kontinuum, plasmapoetische Urkraft und causa prima mit Rauschebart, Bademantel und Flip-Flops, der uns an Christkind die ganzen Geschenke serviert – obwohl die eigentlich alle gar nicht auf den Schlitten passen können! Manche schenken ja Fahrräder! Mokicks! Palmen! Ob es Gott also gibt? – Eben! Zudem betonte bereits Thomas von Aquin, daß alles, welches sich auf bewiesenermaßen Seiendes rein reime, gleichfalls a priori seiend sein müsse, wie man aus dem Reimpaar Schrott / Gott ersehen könne – im Gegensatz etwa zu Mott, Dott, Chrott oder Zott, die allesamt als unexistent zu bezeichnen sind, was man ja schon daraus ersieht, daß der Ausruf »Ach du lieber Zott!« so ungebräuchlich wie sinnlos ist. Meine Meinung!
Thomas Gsella (4)
Beten hilft mir einfach Normalerweise komm’ ich mit mir ja absolut schlecht klar, aber wenn ich ausnahmsweise mal ganz oben bin und eins mit mir und mich fühle wie die Gottesmutter in Frankreich, weil ich alle küssen könnte und Bäume reihenweise aus dem Boden reißen und mir vorkomm’ wie ein Adler, der auf edelweißen Wolken thront mit einem Herzen, das vor Stolz und Kraft und Freude explodieren möchte, frei und himmelsfroh der Welt entgegen, hinein in Sonne, Ferne und grenzenlose Freiheit, unnennbares Glück, dann falte ich meine Hände zum Gebet, murmele irgendeinen Mist, und schon geht’s mir wieder super- scheiße.
Martina Werner (5)
Mein Weg zu Gott »Guten Tag, haben Sie schon mal über Atheismus nachgedacht?« Als ich das gutaussehende und aufreizend gekleidete Pärchen, das mir diese Frage an der Haustüre stellte, mit in mein Schlafzimmer nahm, ahnte ich noch nicht, welche Wende mein Leben damit nehmen würde. Überzeugt von den Argumenten der beiden (Feuerbach, Marx, Nietzsche), wurde ich sofort bisexuell und zudem fanatischer Atheist. Ich richtete mein Leben streng an den Ideen der Aufklärung aus, suchte für alles eine wissenschaftliche Erklärung und fand sie auch stets. Nach einigen Jahren beschlichen mich allerdings Zweifel: Ein glückliches erfülltes Leben – konnte das alles sein? Eines Nachts, als ich besonders heftig mit dieser Frage und mehreren Blondinen unterschiedlichen Geschlechts rang, erschien mir plötzlich Gott. »Bleib du mal schön Atheist«, sagte er gütig. »Das ist besser für dich.« Jetzt weiß ich nicht mehr, wem ich folgen oder was ich nicht glauben soll. Danke, Gott!
Mark-Stefan Tietze (6)
Satan ist cooler Gern würde ich an den lieben Gott glauben, den Schöpfer ehren, preisen und abknutschen. Leider aber kam ich als Black-Metal-Baby auf die Welt, da hat mich meine Mutter sofort an den Teufel verkauft (sieben Mark). Geld spielt bei dem ja keine Rolle!
Stephan Rürup (7)
Lieber Gott als Fussball Gehen Sie mir bloß weg mit Gott! Das ist doch ein korrupter Mistkerl und Betrüger! Jeden Sonntag in der Kirche derselbe Quatsch: bet-bet, glaub-glaub, sing-sing. Den feinen Herrn Schöpfer juckt das doch überhaupt nicht. Der hat das Ganze irgendwann mal installiert und stopft sich jetzt die Taschen voll! Das würde doch von uns auch jeder so machen! Wer hätte nicht gern 1500 netto anstatt 1000 oder 400! Aber sagen Sie das mal den Lokführern! Das ist ganz klar Mehdorns Job, dafür wird der Kerl bezahlt! Außerdem sollten die Leute lieber weiter am Standort Deutschland arbeiten und nicht dauernd flennen, dann wird aus uns auch wieder was. Europa!? Noch einmal: Ich hasse die Deutsche Bahn, aber so ist Fußball nun mal! Meinen Glauben an diesen Penner kann das jedenfalls nicht erschüttern.